Gehen oder bleiben?

Da ist so viel, was mir zurzeit durch den Kopf geht. So viele Themen, die mich und vielleicht auch dich beschäftigen. Es fällt mir schwer, die passenden Worte zu finden für all das, was gerade los ist. In der Welt, in der Kirche, bei mir persönlich. So viel, was mich bewegt. So wenig Worte, die ich finde. 

Schon seit Beginn meines Studiums in Paderborn stelle ich mir immer wieder die Frage: Gehen oder Bleiben? Mal schwindet diese Frage in den Hintergrund und mal ist sie präsenter denn je. Durch die Veröffentlichung des Zwischenberichtes zum Missbrauchsgutachten des Bistums Osnabrück ist sie wieder mitten in den Vordergrund gerückt.

Die Frage - Gehen oder Bleiben - sie lässt mich nicht mehr los. Es gelingt mir nicht, sie abzuschütteln, einfach weiter zu machen und so zu tun, als würde sie mich nicht betreffen. Denn genau das tut sie. Sie betrifft mich. Mich ganz persönlich als Louisa, mich als gläubige Christin und mich als Gemeindeassistentin, die für diese Kirche arbeitet. Und genau das ist vollkommen in Ordnung. Ich muss nicht alles weglächeln. Ich muss nicht alles Schwere mit guten Worten überlagern. Ich muss nicht so tun, als ob nichts ist. Ich muss nicht, ich kann nicht, ich will nicht.  
Ich will nicht wegschauen. Ich will hinsehen, will das Leid sehen, es wahrnehmen, es ernst nehmen und es mit aushalten. Mit aushalten für alle Betroffenen, die so viel Leid durch die Kirche erfahren mussten. Mit aushalten für alle Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren und an dieser Kirche zweifeln. Mit aushalten für alle Menschen, die sich ebenfalls die Frage, zu gehen oder zu bleiben, stellen, denn auch ich zweifle, stelle die Kirche in Frage und habe schlaflose Nächte. Es ekelt mich an, wie viel Grausames in unserer Kirche passiert ist.  Es ekelt mich an, wie jahrelang einfach weggeschaut, Leid zugelassen und es immer größer wurde. Ja, es ekelt mich an, es bringt mich an meine Grenzen, es raubt mir den Schlaf und verändert meinen Blick auf die Zukunft. Meine ganz persönliche und die der Kirche.
Und dennoch - oder vielleicht auch gerade deswegen - bleibe ich.

Denn was würde aus der Kirche werden, wenn alle gehen und niemand bleibt?

Ich bleibe, denn ich möchte mit dir eine Gemeinde gestalten, die offen für alle Menschen ist. Eine Gemeinde, die Menschen einlädt, zu bleiben, egal, wie oft sie zuvor schon gegangen sind.
Ich möchte mit Menschen zusammenarbeiten, die für das gleiche Feuer brennen.
Ich möchte dabei helfen, die Kirche weiter nach vorne zu bringen und Menschen für unseren Glauben zu begeistern.
Ich möchte für meinen Glauben einstehen und ihn mit dir teilen.
Ich möchte dich auf einem Stück deines Lebensweges begleiten.
Ich möchte mit dir handeln, wenn alle anderen stehen bleiben.
Ich möchte dir zeigen, dass Kirche und vor allem Gemeinde so viel mehr ist als Machtstrukturen und Missbrauch.
Ich möchte mit dir schweigen, wenn dir die Worte fehlen.
Ich möchte mit dir klagen, weinen und schreien, wenn du wütend und traurig bist.
Ich möchte bleiben, auch wenn verdammt Vieles dagegenspricht.
Ein Satz, welcher mich schon seit einer Mitarbeiterversammlung während einer meiner Praktika im Studium begleitet, lautet: "Es gibt gute Gründe zu gehen, aber es gibt genauso gute Gründe, zu bleiben. Und wer bleibt, darf trotzdem lächeln und das ist doch die schönste Art, die Zähne zu fletschen."

Ich lächle. Du auch?

Louisa Pötter, Gemeindereferentin

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